Er kann's nicht lassen. Der dauerbeleidigte türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan fährt fort, missliebige Journalisten und Kritiker unter Druck zu setzen, anzuzeigen oder einsperren zu lassen. Das er in der Türkei eine harte und undemokratische Linie verfolgt, daran haben wir uns schon fast gewöhnt. Das er nun auch im Ausland versucht, Medien, Ausstellungen und Konzerte in seinem Sinne zu beeinflussen, zeugt allerdings von einem gewissen Größenwahn. Das für Erdogan tragische daran ist, dass er damit alles immer noch schlimmer macht. Der Streisand-Effekt, den er mit seiner ersten Reaktion auf einen Beitrag in der Satire-Sendung "extra 3" ausgelöst hatte, wird nun durch einen noch stärkeren "Erdogan-Effekt" ersetzt. Je mehr er sich bemüht, die peinliche Angelegenheit in seinem Sinne zu korrigieren, desto mehr Imageschaden richtet er an. Man fühlt sich an Loriots Sketch "Das schiefe Bild" erinnert, nur dass man mit Erdogan kein Mitleid haben muss. Fast 2000 Anzeigen wegen angeblicher Beleidigungen gegen Politiker, Journalisten und sogar Schulkinder sagen alles: Der Mann leidet an einer Psychose und gibt den Kritikern und Satirikern immer wieder recht. Immer mehr Komiker, Satiriker und Kabarettisten fühlen sich aufgefordert, immer wieder nachzulegen und ihn mit immer neuem Spott zu überschütten. Hätte er den ersten Beitrag ignoriert, wäre die Sendung wohl längst vergessen und das Böhmermann-Gedicht hätte es nicht gegeben. Das ist der "Erdogan-Effekt": Die Wandlung vom Staatspräsidenten zum Running Gag mit garantierten Lachrn. Der Imageschaden ist von Dauer. Erdogan hat das noch immer nicht verstanden. Der Philosoph Bertrand Russel hat einmal sinngemäß gesagt: "Man sollte nicht so dumm sein, einen Fehler zweimal zu machen. Die Auswahl ist groß genung." Ein großer Staatsmann, wie Erdogan es gerne wäre, hätte souveräner reagiert. Anstatt einen mittelmäßigen Komiker berühmt zu machen, indem er ihn vor den Kadi zerrt, hätte er ihn mit Missachtung strafen oder ihm mit feiner Ironie antworten sollen.
Erdogan wird sich damit abfinden müssen, dass es in anderen Ländern freie Medien, freie Meinungen und Satire gibt, die auch vor Präsidenten nicht halt machen muss. Gut, Böhmermanns Schmähgedicht ist ziemlich daneben und es hat auch mit Satire nichts zu tun, egal, in was für einen Kontext es eingebaut ist. Ziel der Satire ist es, bestimmte Missstände oder Verhaltensweisen durch Übertreibung herauszuarbeiten und bloßzustellen, aber nicht die plumpe Beleidigung. Die wesentlich bessere Satire hat Erdogan selber geliefert, noch dazu eine Realsatire. Wie er die Reaktion auf einen an sich harmlosen Spott über sein Rechts- und Freiheitsverständnis ins Groteske übersteigert und sich am Ende selbst lächerlich macht, daran hätte auch Altmeister Ephraim Kishon seine Freude gehabt. Der Versuch, sich durch die Unterdrückung von Kritik an seiner Person Respekt und Achtung zu verschaffen, führte dazu, dass er beides verlor und erst recht den Blick auf die eigenen Unzulänglichkeiten lenkte.
Die EU, die sich in der Flüchtlingsfrage von der türkischen Regierung abhängig gemacht hat, muss sich endlich darüber klar werden, was des Pudels Kern ist. Aber die europäische Wertmaßstäbe sind ja leider sehr flexibel geworden.