Die Nation ist geschockt: Der Bundespräsident ist überraschend zurückgetreten. Kritik an einer Äüßerung habe mangelnden Respekt vor seinem Amt erkennen lassen und deshalb habe er sich zu diesem Schritt entschlossen, erklärte Köhler knapp. Sofort begannen heftige Diskussionen in Brennpunkten und Polit-Talkshows. Kritik wurde laut, er sei zu dünnhäutig, er beschädige das Amt des Bundespräsidenten, in diesen Zeit sei eine solche Kurzschlussreaktion unverantwortlich usw. Selbst politische Gegner bezeichneten diese Entscheidung als überzogen.

Ich halte diese Diskussionen für zu oberflächlich. Ist Horst Köhler wirklich so dünnhäutig, dass er eine Kritik an einer Äußerung nicht vertragen konnte, die etwas missverständlich war (und von einigen vielleicht auch falsch verstanden werden wollte)? Schwer vorstellbar. In den Ämtern, die Horst Köhler innehatte, lernt man beizeiten, mit Kritik umzugehen. Kurzschlussreaktion? Wir erinnern uns: Als oberste Instanz verweigerte er die Unterschrift unter zwei Gesetze, die er für nicht verfassungskonform hielt. Nein, er nimmt seine Aufgaben ernst, er denkt sich etwas bei dem, was er tut. Jeder Schritt ist wohl überlegt.

Zur Arbeit der neu gewählten Bundesregierung hat er lange geschwiegen. So lange, dass schon öffentlich gefragt wurde, ob er noch da sei. Dann, in einem Focus-Interview im März diesen Jahres, äußerte er sich schließlich und ging mit der Regierung, zumindest zwischen den Zeilen, hart ins Gericht. Er zeigte sich tief enttäuscht von der Arbeit, von der Orientierungslosigkeit, der Unentschlossenheit und der Klientel-Politik, gegen die er nichts ausrichten konnte. Nun noch der Tabu-Bruch, die Unabhängigkeit der EZB auszuhebeln, die gegen die EU-Regeln verstoßenden (und möglicherweise auch verfassungswidrigen) Rettungsaktionen für EU-Mitglieder in Schwierigkeiten, die anhaltende Verschuldungsorgie... Ist es möglich, dass Köhler, als früherer Chef des IWF mit Finanzthemen gut vertraut, hier neues Unheil auf uns zukommen sah, vor dem uns unsere Volksvertreter doch bewahren sollten? Ist es möglich, dass es das alles als Staatsoberhaupt und Aushängeschild dieser Regierung nicht mehr mit tragen wollte und konnte? Natürlich kann ein Bundespräsident eine amtierende Regierung in solch schwierigen Zeiten mit Finanz-, EU- und Euro-Krise nicht öffentlich und vor allem international brüskieren. Von daher könnte die Kritik an seiner Rede der willkommene Anlass gewesen sein, von seinem Amt zurückzutreten, ohne die Regierung gleich bloßzustellen. Dennoch wäre es für diese eine kräftige diplomatische Ohrfeige.

Wenn es so gewesen sein sollte, wenn das sein wirkliches Motiv für den Rücktritt war, dann war es ein mutiger und konsequenter Schritt, der unser aller Anerkennung und Respekt verdient. Das unsere Bundesregierung daraus etwas lernt, ist allerdings leider nicht zu erwarten.
Wirklich beantworten kann diese Frage nur Horst Köhler selber, doch der wird bis auf weiteres schweigen. Wünschenswert ist aber, dass verschiedene Journalisten und Talkmaster auch einmal in diese Richtung denken und die Gründe etwas genauer hinterfragen.