Hauptsache reduziert

Ein Elektrogroßmarkt, mitten in Deutschland. Ich stehe vor einem Regal und vergleiche die ausgestellten Produkte. Was gibt es so alles, was können sie, wie ist die Ausstattung, welche Preislagen gibt es? Was mir für eine Entscheidung eben wichtig erscheint. Da tauchen zwei junge Damen auf, die offenbar das Gleiche suchen. Eine fährt mit dem ausgestreckten Zeigenfinger die Reihe entlang. Plötzlich ruft sie "Das hier ist reduziert, das können wir kaufen!" Und damit sind sie fertig.

Ich sehe genauer hin. Tatsächlich, über dem Artikel prangt eine kleine Tafel mit der Aufschrift "Bisher x €, jetzt nur noch y €". Gleich daneben ein ähnliches Produkt mit ähnlicher Ausstattung, sogar etwas günstiger. Aber eben nicht reduziert. Ich schließe daraus: nicht der Preis oder die Leistung sind entscheidend, sondern der Rabatt.

Dieses Verhalten lässt sich auch in anderen Branchen beobachten. Wichtiger als das, was man am Ende zahlt, ist das, was man (scheinbar) gespart hat. Wie ist dieses paradoxe Verhalten zu erklären?

In unserem Gehirn gibt es ein Belohnungszentrum. Es schüttet Glückshormone aus, wenn wir in irgendeiner Weise erfolgreich waren oder wenn es anderweitig angeregt wurde. Es macht keinen Unterschied, ob wir im Beruf oder auf dem Fußballplatz erfolgreich waren, ob wir Süßigkeiten naschen oder eben ein Schnäppchen machen. Einen Rabatt mitnehmen zu können ist auch ein Erfolgserlebnis, das glücklich macht. Wobei das Schnäppchen im Alllgemeinen weniger Kalorien hat. Anscheinend haben wir Deutschen besonders wenige Erfolgserlebnisse im täglichen leben, denn kaum ein anderes Volk ist so heiß auf Rabatt, reduziert oder billiger. In kaum einem anderen Land gibt es eine solche Vielzahl von Discountern und selbst hier toben Rabattschlachten. Auch andernorts hat man das schon erkannt. Zum Beispiel auf Sansibar: Dort bieten Einheimische am Strand Ausflüge zu verschiedenen Zielen an. Der preis hängt von Art und Umfang der Tour ab. Neben den "normalen" Angeboten gibt es ein Spezialangebot für Deutsche Touristen. Etwas kompakter, etwas einfacher, etwas billiger. "Wir wissen, dass die Deutschen niedrige Preise lieben", sagte der Verkäufer. Bedenklich ist vor allem, dass uns bei all dem Rabattdenken langsam das Gefühl für den wirklichen Wert einer Ware oder einer Dienstleistung verloren geht.

Geht es uns so schlecht, dass wir sparen müssen, wo immer es geht? Für die meisten trifft das sicher nicht zu. Deutschland gehört noch immer zu den wohlhabendsten Ländern der Erde. Und trotzdem muss man sich im Bekanntenkreis schon fast entschuldigen, wenn man sich einfach mal etwas leistet, was einem gefällt oder was bestimmte Vorzüge hat anstatt ein Billigprodukt vom Online-Händler gekauft oder wenigstens ein tolles Sonderangebot genutzt zu haben. Fehlen uns die Belohnungen und Erfolge im täglichen Leben? Müssen wir das durch Schnäppchen kompensieren, auch wenn wir schon zwei Akkuschrauber und drei digitale Badethermometer zu Hause liegen haben? Richtig absurd wird die Schnäppchenjagd dann, wenn die Fahrtkosten zum Sonderangebot die Ersparnis übersteigen. Und so manches Schnäppchen ist in Wirklichkeit gar keines, denn der vorhgerige Preis war einfach viel zu hoch angesetzt worden. Egal, Hauptsache Rabatt. Aber wenn es in vielen Unternehmen nach der Devise "nicht geschimpft ist genug gelobt" verfahren wird, dann müssen wir uns eben selber Erfolgserlebnisse verschaffen. Gleichzeitig wird damit auch noch der alte Jäger- und Sammlerinstinkt befriedigt, der uns seit Ewigkeiten antreibt. Statt über das erlegte Mammut freuen wir uns über das Sofa mit 30% Rabatt, das wir den anderen weggeschnappt haben.
Und es gibt noch eine weitere mögliche Erklärung. In unserer zunehmend materiell orientierten Welt sind Dinge auch Statussymbole. Je mehr man davon hat, desto höher das Ansehen. Da das Budget eines normalen Haushalts im Gegensatz zu dem der Banken und Staaten aber begrenzt ist, muss man darauf achten, die Dinge möglichst günstig zu bekommen, um sich somit mehr davon leisten zu können. "Es ist alles so teuer geworden, man kann sich bald nichts mehr leisten" habe ich häufig gehört. Das ist nicht ganz richtig. Bei vielen Dingen sind die Preise langsamer gestiegen als die Einkommen. Es gibt nur einfach immer mehr Möglichkeiten, Geld auszugeben. Zudem haben wir uns an viele Dinge so sehr gewöhnt, dass wir sie als lebensnotwendig erachten, auch wenn sie bei genauerer Betrachtung eigentlich überflüssiger Luxus sind.

Die fatale Folge dieser Jagdleidenschaft tragen wir allerdings teilweise selber. Um immer billiger produzieren und anbieten zu können, werden nicht nur bei Material und Verarbeitung Abstriche gemacht. Auch die Lohnkosten müssen sinken, sei es durch Unterlaufen von Tarifverträgen oder durch Verlagerung von Arbeitsplätzen ins (meist ferne) Ausland. Letztlich subventionieren wir uns die niedrigen Preise oft selber, auf dem Umweg über mehr Steuern und Abgaben, wenn Arbeitsplätze wegfallen oder nicht mehr solzialversicherungspflichtig sind.

Die Jagd nach Schnäppchen als Belohnung ist die eine Sache. Auf der anderen Seite kommt den Rabatt-Anbietern zugute, dass wir immer mehr verlernen, den wahren Wert von Dingen oder Dienstleistungen einzuschätzen. Wir verlieren das Gefühl dafür, welcher Preis angemessen ist und orientieren uns zunehmend an den vermeintlichen Einsparungen. Das wird noch gefördert durch eine Gesellschaft, die den Konsum wie auch das Sparen gleichermaßen zum Evangelium erhoben hat. Wir wollen immer mehr besitzen, aber immer weniger dafür bezahlen. Geiz ist zum Volkssport geworden. Wir leben in einer Gesellschaft, in der man schräg angesehen wird, wenn man nicht ständig mit den bunten Angebotszetteln der Discounter durch die Straßen geht und wenn man das, was man nicht selber machen kann, wenigstens schwarz erledigen lässt. Statt zu leben und das Leben zu genießen, verbringen wir unsere Zeit damit, nach Sonderangeboten zu jagen. Der Neandertaler in uns lässt grüßen.
Nur mit dem großen Auto vor der Tür zeigen wir den Nachbarn, wie gut es uns eigentlich geht. Waren früher einmal Qualität, Ausstattung und Bedienungskomfort von Geräten wichtig, so wetteifern wir heute darum, wer für ein Produkt den niedrigsten Preis finden konnte. Die Eigenschaften sind nicht mehr so wichtig, und dass dafür auf der anderen Seite des Globus Menschen wie Sklaven gehalten und ausgebeutet werden, wollen wir nicht wissen. Was reduziert ist, ist gut.

In Fernost müssen Menschen oft unter unwürdigen Bedingungen arbeiten, von Kinderarbeit ganz zu schweigen. Dafür spenden wir dann an Weihnachten ein paar Euro. Die haben wir ja zuvor gespart... Darf es noch etwas billiger sein?