Der Fall Guttenberg(s)

Ist Abschreiben, also Schummeln, etwas Schlimmes? Zu meiner Schul- und Studentenzeit war das jedenfalls so. Wer beim Abschreiben erwischt wurde, dessen Arbeit wurde konfisziert und mit einer 6 benotet, aber nicht mit "summa cum laude". Karl-Theodor zu Guttenberg hat für seine Doktorarbeit viel von anderen abgeschrieben, doch in der Bevölkerung bekommt er dafür sogar Verständnis. Er habe doch nur ein paar Fußnoten vergessen, was ist denn daran so schlimm? Nun, es wären ziemlich viele Fußnoten notwendig gewesen, mehr, als man selbst als gestresster Familienvater und angehender Politiker vergessen kann. Auch mit all diesen Gänsefüßchen wäre der eigene wissenschaftliche Beitrag sehr gering und keines akademischen Grades würdig. Zu Guttenberg versucht sich damit zu entschuldigen, dass er unwissentlich abgeschriben habe. Wer soll das denn glauben? Wie kann man versehentlich etwas kopieren, das andere geschrieben haben? Waren die Vorlagen so gut, dass KTG meinte, sie müssten von ihm sein? Sowas gibt es nicht und da hat zu Guttenberg schlicht gelogen. Das war kein Versehen, das war Absicht. Das war kein Plagiat, das mal eben so aus Versehen entstanden ist.

Eine seltsame Rolle spielt dabei auch die Universität Bayreuth, die ohne echte Prüfung den Doktortitel verlieh, und sein Doktorvater, der anscheinend selber noch Vorlagen beisteuerte. Das ist glatter Betrug und ein schwerer Schaden für die Wissenschaft.

Ist der Rücktritt Karl-Theodor zu Guttenbergs gerechtfertigt? Ja, und er war auch notwendig und er hätte sogar früher kommen müssen. Wer vorsätzlich täuscht, wer seinen eigenen Ansprüchen nicht gerecht wird, der hat auch kein Vertrauen als Minister verdient. Guttenberg war der Hoffnungsträger der neuen Konservativen, der Mann, der Werte und Ideale verkörpern sollte. Er hat sich selber nicht daran gehalten und damit seine Glaubwürdigkeit verspielt. Er habe Fehler gemacht und Unsinn geschrieben, sagte er dazu. Nein, er hat bewusst getäuscht. "Ein reuiger Sünder ist mir mehr wert als hundert Gerechte", soll Jesus gesagt haben, Von Reue gibt es bei Guttenberg, der doch auch die christlichen Werte repräsentieren wollte, keine Spur. Er hat nicht ehrlich bereut, sondern nur scheibchenweise zugegeben, was sich nicht mehr vertuschen ließ.

Es bleibt die Frage, warum zu Guttenberg neben der Unterstützung durch gewisse Medien in weiten Teilen zumindest der konservativen Bevölkerung weiterhin so beliebt ist. Offenbar gibt es hier eine Sehnsucht nach einem Helden, einem Idol, zu dem man aufschauen kann. Der charismatische KTG kam da gerade richtig. Einem Helden verzeiht man schon mal ein paar kleine Schwächen, für die man andere glatt kreuzigen würde. Weil nicht sein kann was nicht sein darf, werden die Fehler des Idols einfach ausgeblendet. Sie schaden ihm nicht, im Gegenteil, sie machen den Supermann nur menschlicher und volksnäher. Kommentar eines Besuchers des politischen Aschermittwochs der CSU in Passau: "Das war endlich mal einer, der die Wahrheit gesagt hat." Welche Wahrheit? Mit ein paar Maß Bier kann man sich vieles schönreden. Ja, wir brauchen Idole. Aber nicht solche. Es geht nicht um "ein paar vergessene Fußnoten", wie sich viele immer noch einreden, es geht um Betrug. Sind das die neuen Tugenden und Werte, für die zu Guttenberg stehen sollte? Zählen Moral und Anstand in diesen Kreisen nur, solange man selber davon profitiert? Offensichtlich lässt es sich mit dieser Doppelmoral sehr gut leben. Die Konservativen haben ihre Gallionsfigur verloren, und weil sie keinen Besseren haben, versuchen sie ihn zu halten. Schon werden die Chancen auf ein Comeback ausgelotet. Meine Großmutter pflegte dazu zu sagen: "Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, und wenn er auch die Wahrheit spricht!"