Ein NPD-Verbot bringt nichts

Anfang 2011 wurden wir noch vor der "Gefahr von Links" gewarnt. Seit Ende 2011 haben Behörden und Medien "die rechte Gefahr" - zu Recht - wiederentdeckt. Es ist unbestritten, dass die Gewaltbereitschaft rechter Gruppierungen und die Mordserie nur zu verabscheuen sind. Doch übersehen wir nicht ein paar Dinge? Auch auf der linken Seite gibt es Gewaltbereitschaft. Politiker in Ortsverbänden der Linkspartei sehen es als legitim an, ihre Vorstellungen notfalls mit Gewalt durchzusetzen. Die Parteispitze hat sich davon nicht distanziert. Das Problem ist der Extremismus an sich und der ist grundsätzlich schlecht, egal ob politisch oder religiös motiviert. Eine funktionerende Demokratie muss so etwas verkraften können. Eine Partei zu verbieten, weil Extremisten ihr nahe stehen könnten, löst nicht die eigentlichen Probleme, sondern verdeckt sie nur für eine Weile. Die wahren Ursachen bleiben bestehen.

Es gibt allerdings Unterschiede in der Qualität der Gewalt, die von Extremisten ausgeht. Von Rechtsextremisten werden etwa doppelt so viele Straftaten verübt wie von Linksextremisten, zudem richteten sich die Rechten häufiger gegen Personen, während die Linken eher Sachschäden anrichten. Woran kann das liegen? Die Rechten haben in der Regel ein klares Feindbild, die Gegner sind in der Öffentlichkeit leicht zu identifizieren: Ausländer (die anders aussehen), Angehörige bestimmter religiöser Gruppen. Die Linken haben eher diffuse Gegner, zu denen es nur wenige Gesichter gibt: Den Kapitalismus, das System, den Imperialismus.

Rechtes Gedankengut lässt sich nicht einfach per Verbot beseitigen. Es ist weiter verbeitet, als es den Anschein hat. Ein Verbot der NPD könnte dazu führen, dass eine neue rechte Partei entsteht, die ihre verfassungsfeindliche Gesinnung besser versteckt. Das Verbot der KPD führte zur Gründung der DKP, die RAF hat es nicht verhindert. Gegen rechte "Kameradschaften", die unabhängig von der Partei agieren, hilft es gar nichts. Die wären leichter zu verbieten, da es sich hier nicht um Parteien handelt. Doch gerade sie dürfen, von der Staatsmacht beschützt, weiter ihre Aufmärsche veranstalten. Das ist verwunderlich und skandalös. Zudem übt, vor allem auf Jugendliche, gerade das Verbotene einen ganz besonderen Reiz aus. Und wenn ich an meine Jugendzeit zurück denke, stelle ich fest, dss es rechte Einstellungen auch damals schon gab, und das in überparteilichen Jugendorganisationen ebenso wie in freien Cliquen oder in der Jungen Union. Auch dort wurden dumme Witze über Juden, Türken oder Farbige gerissen oder die Apartheid beürwortet.  Keiner war wirklich NPD-Anhänger. So mancher Alt-Nazi hat nach Kriegsende einen guten Posten in der Politik oder in der Wirtschaft gefunden. Oder denken wir, ganz aktuell, an den Kleingartenverein, der eine Ausländerquote eingeführt hatte, oder an ein konservativ ausgerichtetes Nachrichtenmagazin, dass z. B. die Grünen in die Nähe von Faschisten rückte, wohl um die eigene Klientel als die wahre Mitte darzustellen. Selbst Internetforen christlicher Kirchenzeitungen sind davon nicht frei. Rechtes Gedankengut ist vielfach latent vorhanden und wird oft auf subtile Weise verbreitet. Es ist weiter verbreitet, als es die insgesamt dürftigen Wahlerfolge der Rechten erahnen lassen. Mit Verboten ist da nicht viel zu erreichen, hier ist Aufklärung nötig.
Man muss bei der NPD auch noch unterscheiden zwischen den ewig Gestrigen, die einem unsinnigen Rassenwahn anhängen und den Neonazis, die aus vollkommen anderen Motiven heraus Terror verbreiten. Andere ethnische Gruppen sind da nicht der eigentliche Auslöser, sondern eher Zielscheibe ihres Hasses.
In allgemeinen Studien wird oft gesagt, der Osten Deutschlands sei besonders braun. Das trifft insofern zu, als das die NPD in zwei der sechs ostdeutschen Landtage vertreten ist, jedoch in keinem der zehn westlichen, und dort deutlich mehr Stimmen bekommt. Doch auch die extreme Linke ist dort sehr viel stärker vertreten. Man kann also nicht sagen, dass dort die Neonazis besonders häufig sind, sondern das dort der Extremismus besonders oft anzutreffen ist. Und damit kommen wir zu der wichtigeren Frage nach den Ursachen.

Warum ist Extremismus, gleich welcher Richtung, in bestimmten Gegenden häufiger anzutreffen? Einen Hinweis daruf liefern uns die Aussagen von Aussteigern. Das wichtigste Gut eines Menschen ist, neben der Freiheit, sein Selbstwertgefühl, seine Würde. Wir alle vergleichen uns ständig mit anderen, ordnen uns ein und denken darüber nach, was andere von uns halten. Dabei wollen wir möglichst gut abschneiden. Nimmt man einem Menschen seinen Selbstwert, seine Slbestachtung, dann kommt es zu einer von zwei möglichen Reaktionen:
1. Frustration, Lethargie, Depression oder
2. Frustration, Wut, Hass auf die vermeintlich Schuldigen.

In den neuen Bundesländern wurde vielen Menschen das Selbstwertgefühl genommen. Sie wurden zu Bittstellern degradiert, sie haben kaum Perspektiven. Arbeitsplätze wurden gen Westen verlagert, verbleibende Betriebe von "Wessis" übernommen. Von der Wende profitierten nur wenige und vor allem Wessis, die versprochenen blühenden Landschaften blieben ein Traum. Ein idealer Nährboden für extremistische Gruppierungen, die den enttäuschten Menschen das passende Feindbild und die vermeintlich Schuldigen anbieten und damit ein willkommenes Ventil für die aufgestaute Wut. Die Betroffenen wenden sich an jene Gruppen, in denen sie das wiederfinden, was ihnen genommen wurde.

Wollte man die NPD verbieten, müsste man konsequenterweise auch Die Linke verbieten. Auch dort pflegen einige Mitglieder ein Feindbild und sie haben nicht nur verfassungskonforme Ideen. Gleiches gilt für religiöse Extremisten, die zu Gewalt gegen Andersgläubige aufrufen. Wo soll man die Grenze ziehen? Zu glaiuben, ein Verbot extremistischer Parteien würde die Probleme lösen, ist naiv. Es wäre das Eingeständnis des Versagens der Poliitik, der eigenen Ratlosigkeit, denn die wahren Ursachen würden nicht abgestellt werden. Die Rattenfänger würden nur in anderen Gewändern weitermachen. Es kommt also darauf an, den zumeist jugendlichen Mitläufern Perspektiven, sinnvolle Beschäftigung und eine glaubhafte Zukunft zu bieten. Das ist eine weitaus schwierigere Aufgabe, aber nur dies führt zum Erfolg. Den braunen Sumpf kann man nur dann dauerhaft trockenlegen, wenn man ihm die Grundlage entzieht.  Aufklärung über die Greueltaten der Nazis im dritten Reich und über das Leben unter totalitären Regimes ist absolut notwendig und muss früh genug beginnen. Leider ist es an vielen Schulen so, dass der Geschichtsunterricht aus Zeit- oder Lehrermangel etwa mit der Zeit Kaiser Wilhelms endet.
In den neuen Bundesländern haben es die extremen Parteien, vor allem die NPD, geschafft, den Nerv breiter Bevölkerungsschichten besser zu treffen als die so genannten Volksparteien. Die sind zu selbstverliebt, zu sehr mit sich beschäftigt, als das sie die Sorgen der BürgerInnen wahrnehmen würden. Ein Beispiel: Als in Mecklenburg-Vorpommern ein Betrieb ins billigere Polen umsiedeln wollte und das den Beschäftigten auf einer Betriebsversammlung mitteilte, da war anschließend weder von der SPD noch der Linkspartei oder der gewerkschaft jemand vor Ort, um Hilfe anzubieten. CDU und FDP sowieso nicht. Allein die NPD hatte eine Delegation geschickt, zivil, bürgerlich auftretend, mit den passenden Transparenten. Einige Enttäuschte traten spontan ein. Das sollte den etabliertenPparteien zu denken geben.

Rechte Tendenzen gibt es aber nicht nur in Deutschland. Sie breiten sich langsam aus, wie ein Blick auf Wahlergebnisse und politische Ereignisse zeigt: In den Niederlanden, in Finnland, Frankreich, Ungarn, Polen, Israel und in den USA, wie am grotesken Vorwahlkampf der Republikaner zu sehen ist.

Damit keine Missverständnisse aufkommen: Für das, was radikale Schlägertrupps und Mordkommandos angerichtet haben, gibt es keine Rechtfertigung und keine Entschuldigung. Aber es gibt Gründe, denen wir uns stellen müssen, um sie abstellen zu können. Es ist unbedingt erforderlich, dass die staatlichen Stellen konsequenter gegen rechte Gewalt vorgehen. Schon einmal hatten Konservative im Reichstag geglaubt, Hitler und die Schlägertrupps der NSDAP seien nützlich, um Linke und Sozis aus dem Feld zu räumen, um dann später selber komfortabel regieren zu können. Als sie erkannten, dass die Sache außer Kontrolle geraten war, war es zu spät. Geschichte muss sich nicht wiederholen.