Unglückliche Bräute, glückliche Konsumenten

Sumangali ist Hindi und bedeutet in etwa "glückliche Braut". In Indien ist es weit verbreitete Sitte, dass Eltern ihre Töchter mit einer nach Möglichkeit üppigen Mitgift unter die Haube bringen. Viele ärmere Familien können sich jedoch keine Mitgift leisten. Für sie haben Unternehmen das Sumangali-Prinzip erfunden. Die Mädchen verpflichten sich, für 3-4 Jahre in einer Fabrik zu arbeiten (meistens eine Textilfabrik) und bekommen dafür am Ende eine Prämie, die als Aussteuer dienen soll. Was sozial klingt, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als eine besonders perfide Form der Ausbeutung, um nicht zu sagen der Sklaverei.
Die Mädchen schuften bis zu 16 Stunden am Tag, oft 7 Tage in der Woche. Es gibt höchstens einen freien Tag im Monat, an dem sie aber das Fabrikgelände nicht verlassen dürfen. Die kurzen Gespräche mit Angehörigen finden unter Aufsicht statt. Über die Arbeitsbedingungen soll nichts nach draußen gelangen. Wohnen müssen sie zu mehreren in schäbigen Baracken, extra Lohn gibt es nicht, nur ein Minimum an Nahrung zum Überleben. Wer diese Schinderei durchhält, bekommt nach vier Jahren bis zu 1300€, das sind etwa 27€ im Monat. Wer vorher aufgibt und flüchtet, bekommt nichts. Viele, die nicht mit dieser Schande leben wollen, versuchen dann, sich umzubringen. Im Textilzentrum Tiripur, auch "T-Shirt-City" genannt, registriert man sechs bis sieben Selbstmordversuche - täglich.
Den Eltern erzählen die Anwerber natürlich nichts von den dunklen Seiten des Sumangali-Programms.

Warum gibt es dieses System? Die Inder müssen zunehmend mit den billigen Produzenten in Bangladesh konkurrieren. Dort kostet ein einfaches T-Shirt ab Werk etwa 1,40€. Mit dem Programm für die "glücklichen Bräute" gelingt es, das Lohnniveau in Indien auf das in Bangladesh zu drücken und die großen Kunden aus Europa und Amerika zu halten. Das sind verschiedene Discounter und Textilketten, auch aus Deutschland. Steigende Baumwollpreise können kaum an die Abnehmer weitergegeben werden, denn die wollen dauerhaft billig anbieten können. Dann müssen in den Fabriken die Kosten weiter optimiert werden. Sumangali macht keine glücklichen Bräute, sondern nur glückliche Konsumenten in den Industrieländern.

Es sind nicht nur gierige Importeure und Händler, die dafür verantwortlich sind, dass in anderen Ländern Kinder um ihre Jugend und oft genug, wenn Chemikalien und Staub Hände und Lungen geschädigt haben, auch um ihr weiteres Leben betrogen werden. Wir alle sind mit verantwortlich, wenn wir ständig den Superschnäppchen hinterherhecheln. Damit die Arbeiterinnen in Indien und in Fernost annähernd menschenwürdig leben können, müsste ein gewöhnliches T-Shirt gerade mal einen Euro mehr kosten. Doch das ist in unseren umkämpften Märkten nicht durchsetzbar und beim Preis hört bekanntlich auch die Moral auf. Wir müssen ja schließlich auch sparen. Damit wir uns das nächste Smartphone oder den neuen 3D-Fernseher schneller leisten oder zweimal im Jahr in Fernost Urlaub machen können.

Die Flut an Billigtextilien hat noch eine weitere Nebenwirkung, an die kaum jemand denkt. Nicht nur die Fabrikarbeiterinnen in Asien verelenden dadurch, auch afrikanische Länder leiden darunter. Weil die Klamotten so schön billig sind, werden häufiger neue gekauft, als es eigentlich notwendig wäre. Um unser Gewissen zu entlasten, geben wir die alten Stücke in die Altkleidersammlung. So erfüllen sie doch noch einen guten Zweck. Oder eben auch nicht. Die nicht mehr gebrauchten Kleidungsstücke kommen in Massen auf die Märkte vieler afrikanischer Länder, wo sie (aus unserer Sicht) zu Schleuderpreisen verkauft werden. Dagegen hat die einheimische Textilindustrie auch bei niedrigsten Löhnen keine Chance mehr. So ist z. B. in Tansania die Textilindustrie, die einst Teile Ostafrikas versorgt hatte, zusammengebrochen. Hunderttausende verloren ihre Arbeit und sind nun auf Unterstützung angewiesen. Das zog die gesamte Wirtschaft dort in den Abgrund. Wenn Länder der dritten Welt nicht auf die Beine kommen, liegt das nicht immer nur an Korruption, Misswirtschaft, mangelnder Bildung oder der Mentalität, wie uns manche erzählen wollen. Es liegt auch an uns, weil wir so gerne möglichst billig einkaufen. Die Differenz zum fairen Preis zahlen die Anderen. Aber die sind ja weit weg.

Manch einer redet sich ein, die Billiganbieter seien so günstig, weil sie auf Gewinne verzichteten, während die anderen Abzocker seien. Das ist reichlich naiv, aber menschlich. Natürlich gibt es keine garantie dafür, dass ein Anbieter von höherpreisigen Produkten zu besseren Bedingungen fertigen lässt. Auch einige teure Markenartikel kommen aus den selben Fabriken, in denen Lebesnmitteldiscounter ihre Sonderangebote produzieren lassen. Bei den Billigartikeln kann man jedoch ziemlich sicher sein, dass sie nicht unter menschenwürdigen Arbeitsbedingungen und fairen Löhnen hergestellt wurden. Auch die Discounter wollen Gewinn machen, und zwar so viel wie möglich. Der Gewinn liegt be ihnen im Einkauf, wie eine alte Kaufmannsregel sagt. Während wir hierzulande nach mindestlohn, gerechter Bezahlung, fairen Arbeitsbedingungen usw. rufen, akzeptieren und unterstützen wir anderswo Ausbeutung und Sklaverei, weil wir davon profitieren.

 

Wenn Sie wieder einmal an einem Schnäppchen- oder Billig-Schild vorbeigehen, denken Sie daran, dass mit großer Wahrscheinlichkeit anderswo auf diesem Planeten mehrere Menschen dafür leiden und vielleicht mit ihrer Gesundheit oder sogar ihrem Leben bezahlen mussten. Denken Sie einmal darüber nach, wie es möglich sein kann, dass diese Textilien so billig sind.